Die Jugend hat gewählt: Ist TikTok schuld am Wahlergebnis? 

Europa hat gewählt! Erstmalig durften auch junge Menschen ab 16 Jahren ihre Stimme bei einer Europawahl abgeben. Über das Ergebnis wurde viel diskutiert. Dabei wurde vom „Rechtsruck der Jugend“ bereits im Vorfeld der Wahl durch die Trendstudie Jugend in Deutschland berichtet. Schon hier wurde deutlich, dass sich immerhin 22% der befragten jungen Menschen für die AfD aussprechen. Nun hat die AfD bei der Europawahl tatsächlich hohe Gewinne bei der Gruppe der 16-24-jährigen Wähler*innen zu verzeichnen und auch bei den U16 Wahlen schnitt die AfD mit 13,35% in NRW im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik zwar schlechter ab, wurde damit aber immerhin drittstärkste Kraft.  

In Funk und Fernsehen (und meiner Nachbarschaft) wurden schnell Stimmen laut: Warum lässt man die Jugend denn auch wählen? Die haben doch mit der Pubertät schon genug zu tun und kein richtiges Interesse an Politik und lassen sich von TikTok beeinflussen! – Diese negative Sichtweise auf junge Wahlberechtige ist deutlich zu kurz gefasst und darf nicht die Antwort von Erwachsenen auf das Wahlverhalten junger Menschen sein!  

Stattdessen braucht es eine selbstkritische Analyse warum junge Menschen sich für die AfD und somit für antidemokratische Parteienpolitik aussprechen und welche Antwort es darauf seitens der Politik, aber auch gesamtgesellschaftlich braucht.  

Zunächst aber muss festgehalten werden, dass das Wahlergebnis der jungen Wähler*innen hinsichtlich der Zustimmung zur AfD keinen gravierenden Unterschied zu anderen Altersgruppen darstellt (U16-Wahlen: 13,56%; 16-24 Jahre: 16% und alle Altersstufen gesamt:15,9%) und damit eigentlich auch kein Argument gegen die Wahlberechtigung ab 16 Jahren sein kann.  

Junge Menschen nun in ihrem Wahlverhalten aber besonders zu kritisieren, stellt eine höchst adultistische Haltung dar und entlarvt die Kritiker*innen darin, dass die Beteiligung Jüngerer nur dann erwünscht ist, wenn das Ergebnis auch die eigene Meinung widerspiegelt. In einer Demokratie muss es möglich sein, die Meinungen anderer auch aushalten zu können, denn auch das macht Demokratie aus!  

Hinzukommt, dass besonders für junge Wahlberechtige die AfD eine etablierte Partei darstellt. Für ältere Wähler*innen mag die AfD, deren Gründung gerade einmal elf Jahre zurückliegt, noch immer ein Konstrukt aus Protestpolitiker*innen sein, die sich zunächst gegen die etablierten Parteien gerichtet haben mag und im Laufe der Zeit immer weiter nach rechts gerückt ist. Diese Entwicklung fehlt jungen Menschen und ihnen ist das politische Feld ohne bzw. vor der AfD schlichtweg nicht bekannt. Die Hürde also die eigene Stimme dieser Partei zu geben mag schon aus der Selbstverständlichkeit ihrer Existenz geringer sein.  

Die Frage ist auch mit welchen Themen die AfD denn inhaltlich punktete? Auch hier kann die Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 Antworten geben. Laut den Autoren sind junge Menschen heute nationalistischer eingestellt. Der Klimawandel ist zwar ein Thema, motiviert aber eher junge Menschen mit einem starken sozio-ökonomischen Hintergrund sich für diesen einzusetzen. Für viele andere junge Menschen stehen die Dauerkrisen, die sie seit Jahren erleben und direkt betreffen, im Fokus ihres Handelns und führen auch zu einem Wahlverhalten, dass sich gegen die Bundesregierung richten mag. Denn hier werden die Themen Armut, Inflation, Wohnungsnot oder auch Einsamkeit nicht ausreichend gehört, geschweige denn unter Beteiligung von jungen Menschen behoben.  

Festzuhalten bleibt auch ein gewisses Stadt-Land-Gefälle bei der Europawahl, das zumindest in der U16-Wahl festgestellt werden kann. Während beispielsweise in Städten, wie Köln, die Grünen mit 23,36% die absoluten Gewinner darstellen, kann die AfD hier lediglich 5,11% verzeichnen. Dem entgegen gesetzt wählten die U16-Jährigen im Regierungsbezirk Detmold. Im dortigen Wahlkreis Minden-Lübbecke kam die AfD auf knapp 30%, während die Grünen lediglich knapp 5% der Stimmen erhielten. Es ist kaum vorstellbar, dass die Jugendlichen einzig aufgrund ihrer hohen Präsenz auf TikTok der AfD ihre Stimme gaben. Zumal die Jugendlichen in Köln auf die gleichen TikTok Formate zugreifen können, wie die Jugendlichen im Regierungsbezirk Detmold. Vielmehr könnten die Gründe sehr alltagspraktisch, z.B. in der schlechten Infrastruktur auf dem Land liegen.  

 

Was braucht es für die Zukunft? 

Zunächst möchten wir festhalten: Wir brauchen keine neuen Formate seitens der Politik. Vielmehr muss es um eine Subjektorientierung in der Lebenswelt junger Menschen gehen. Junge Menschen müssen echte Beteiligung erfahren. Sie stehen stattdessen aber ihrer sozio-ökonomischen Situation, der häufig schlechten Ausstattung in ihren Schulen, der Ungleichbehandlung unseres Bildungssystems ohnmächtig gegenüber. Anders formuliert: Fährt kein Bus zur Offenen Tür im Nebenort, dann kannst du eben nicht dorthin! Es sei denn, deine Eltern fahren dich und damit befinden wir uns wieder in der Ungleichbehandlung unseres Bildungssystems. Denn hier hängt Teilhabe von den sozio-ökonomischen Bedingungen des Elternhauses ab. Und dies wird noch immer nicht ausreichend wahrgenommen, geschweige denn dem etwas entgegengesetzt.  

Formate zur politischen Bildung gibt es bereits zahlreich. In der Offenen Kinder- und Jugendarbeit arbeiten Fachkräfte vorrangig durch einen alltagspraktischen Zugang politisch mit ihren Besuchenden und ermöglichen durch ihr Handlungsprinzip der Partizipation positive Demokratieerfahrungen. Diese positiven Demokratieerfahrungen wünschen wir jungen Menschen auch in anderen Lebensbereichen, wie Schule, Elternhaus und Kommune. Denn Bürger*innenbeteiligung muss auch immer Kinder- und Jugendbeteiligung bedeuten!  

Schließlich haben es die Europawahlen und auch die U16-Wahlen wieder bewiesen: Junge Menschen haben eine Meinung und sind sehr wohl in der Lage diese zu nutzen. Es liegt an uns als gesamtgesellschaftliches Konstrukt, welchen Eindruck junge Menschen von unserer Demokratie erhalten und ob sie die Möglichkeit erhalten diese mitzugestalten.  

 

 

Quellen: 

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