Stellungnahme des Deutschen Kinderhilfswerks (04.03.2022):
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert in der Debatte über die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland ein besonderes Augenmerk auf die Situation der geflüchteten Kinder und Jugendlichen. „Seit Ausbruch des Krieges sind es vor allem Frauen und Kinder, die sich auf der Flucht befinden. Bereits jetzt sind viele Geflüchtete in Deutschland eingetroffen, viele weitere werden sich noch auf den Weg machen. Diese müssen wir mit offenen Armen empfangen. Bei den geflüchteten Kindern handelt es sich um eine besonders vulnerable Gruppe, auf die ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss. Das gilt insbesondere für unbegleitete minderjährige Geflüchtete“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
„Das Deutsche Kinderhilfswerk freut sich über die sehr große Hilfsbereitschaft, die sich in den letzten Tagen auf eindrucksvolle Weise gezeigt hat. Die Aufnahme von geflüchteten Kindern ist eine humanitäre Verpflichtung unserer Gesellschaft. Für ihre Aufnahme und Integration gelten die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, der Europäischen Grundrechtecharta und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Diese normieren eindeutig die Vorrangstellung des Kindeswohls bei allen Entscheidungen von Staat und Gesellschaft sowie das Recht der Kinder auf Förderung, Schutz und Beteiligung. An diesen Eckpunkten muss sich eine staatliche Gesamtstrategie ausrichten“, so Krüger weiter.
Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes ist es notwendig, dass neben ukrainischen Staatsangehörigen auch Kinder und Jugendliche aus Drittstaaten, deren Eltern beispielsweise in der Ukraine studiert oder gearbeitet haben und dort keinen langfristen Aufenthalt hatten, Aufnahme in Deutschland finden müssen. Eine Ungleichbehandlung ist mit den Vorgaben der UN-Kinderrechte unvereinbar.
Zur Aufnahme und Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen sollten sich Bundesregierung und Bundesländer baldmöglichst auf folgende Punkte verständigen und dementsprechende Maßnahmen auch finanziell in einer Gesamtstrategie absichern:
- Geflüchtete Kinder sind in erster Linie Kinder
Sie müssen Anspruch auf Leistungen der bestehenden Sozialsysteme haben wie andere Kinder in Deutschland auch und dürfen nicht auf die Inanspruchnahme der unzureichenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen sein.
- Geflüchtete Kinder brauchen einen schnellen Zugang zu psychosozialen Hilfen
Erfahrungen von Flucht und Gewalt oder die Trennung von Familienangehörigen sind für Kinder und Jugendliche besonders belastend. Deshalb braucht es schnellstmöglich niedrigschwellige, kinder- und jugendspezifische psychosoziale Unterstützungsangebote für die geflüchteten jungen Menschen.
- Geflüchtete Kinder brauchen einen vollständigen Zugang zu ärztlicher Versorgung
Dafür ist mit Hilfe einer regulären Versicherungskarte Zugang zur medizinischen Standardversorgung sicherzustellen. Außerdem ist eine gute Aufklärung der Eltern über die Sinnhaftigkeit von Impfungen wichtig, da so der Schutz von Kindern vor krankheitsbedingten Schäden verbessert werden kann.
- Kinder gehören nicht in Gemeinschaftsunterkünfte
Geflüchtete Kinder brauchen bedarfsgerechte dezentrale Wohnmöglichkeiten. Gemeinschaftsunterkünfte sind keine Orte für Kinder. Insbesondere die Struktur und Organisation der Unterkünfte, die beengten Wohnverhältnisse, das Fehlen von Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre, der Mangel an Anregung, die nachteiligen hygienischen Zustände und häufige Unruhe führen zu gesundheitsgefährdenden Faktoren, die zu chronischen Krankheiten und psychischen Dauerschäden führen können.
- Solange Kinder in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, müssen Mindeststandards gegen sexuelle Gewalt vorhanden sein
In Gemeinschaftsunterkünften sind geflüchtete Kinder besonders gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Deshalb braucht es Mindeststandards in diesen Unterkünften zum Schutz der Kinder. Schutzkonzepte müssen sowohl das Personal in den Gemeinschaftsunterkünften als auch Bewohnerinnen und Bewohner in den Blick nehmen, darüber hinaus aber auch Betreuende, die beispielsweise im schulischen Bereich unterstützen oder Freizeitaktivitäten anbieten.
- Der Zugang zu Schulen und Ausbildungsstätten muss sichergestellt werden
Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und Ausbildung – ganz gleich, wo es lebt und welchen Aufenthaltsstatus es hat. Dies wird am besten durch eine umfassende Schulpflicht sichergestellt. Schulen, Sprachlerneinrichtungen und Vorbereitungskurse müssen für Kinder aber auch tatsächlich zugänglich sein, sie müssen also örtlich erreichbar sein und die Ausstattung mit den dementsprechenden Ressourcen für Transportmittel und Lehrmittel muss erfolgen.
- Geflüchtete Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, sollten die Möglichkeit zum Besuch einer Kindertageseinrichtung haben
Nie wieder lernen Menschen so viel und mit so großem Spaß wie in den ersten Lebensjahren. Dabei kann eine gute Bildung schon für kleine Kinder die Chancengleichheit in unserer Gesellschaft befördern und herkunftsbedingte sowie soziale Unterschiede am besten ausgleichen. Zur Integration von geflüchteten Kindern in den Kita-Alltag braucht es Erzieherinnen und Erzieher, die interkulturelle Kompetenzen und Diagnosefähigkeiten haben, um die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Kinder zu erkennen und zu fördern.
- Zugang zum Recht für geflüchtete Kinder
Der Zugang zum Recht ist die Voraussetzung und Grundlage für die Umsetzung aller anderen Kinderrechte. Daher brauchen geflüchtete Kinder einen effektiven und unmittelbaren Zugang zum Recht. Dazu müssen sie kindgerechte Informationen über ihre Versorgung, ihren Verbleib und dass sie jeweilig betreffende Verfahren erhalten und kindgerecht begleitet werden. Dies gilt für unbegleitete Minderjährige und begleitete Kinder gleichermaßen.
- Zugang zu Informationen und Beteiligung geflüchteter Kinder
Zudem sind geflüchtete Kinder in für sie verständlicher Sprache zu informieren und zu beteiligen, dazu braucht es geschulte Fachkräfte sowie Sprachmittlerinnen und Sprachmittler. Daneben müssen niedrigschwellige Beschwerde- und Anlaufstellen eingerichtet werden, die den geflüchteten Kindern kindgerechte und kostenfreie Beratung von qualifizierten Expertinnen und Experten sowie Rechtsbeistand bieten.
Um Kindern und Familien zu helfen, die sich zwangsweise auf die Flucht nach Deutschland machen mussten, hat das Deutsche Kinderhilfswerk kurzfristig einen Hilfsfonds für geflüchtete Kinder und Jugendliche und ihre Familien aus der Ukraine aufgesetzt und mit 100.000 Euro ausgestattet. Hier geht es darum für junge Geflüchtete kindgerechte Freizeit- und Bildungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, die der Integration sowie körperlichen und seelischen Gesundheit dienen. Über den Kindernothilfefonds des Deutschen Kinderhilfswerkes ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe möglich, solange staatliche Hilfen noch nicht wirksam werden. Darüber werden Versorgung, Ausstattung, psychologische Betreuung, Übersetzung, medizinische Versorgung oder eine Schulausstattung finanziert. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat dafür zunächst 200.000 Euro bereitgestellt.
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Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. setzt sich seit mehr als 45 Jahren als Interessenvertreter für ein kinderfreundliches Deutschland bundesweit für die Rechte der Kinder und die Überwindung von Kinderarmut in Deutschland ein. Der gemeinnützige Verein finanziert sich überwiegend aus privaten Spenden, dafür stehen seine Spendendosen an ca. 40.000 Standorten in Deutschland. Das Deutsche Kinderhilfswerk initiiert und unterstützt Maßnahmen und Projekte, die die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, unabhängig von deren Herkunft oder Aufenthaltsstatus, fördern. Schwerpunkte sind hierbei insbesondere die Kinderrechte, die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und die Überwindung von Kinderarmut in Deutschland.
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